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(Jakarta, 8. Juli 2008) – Saudi-Arabien soll die Reform der Arbeits-, Immigrations- und Strafgesetzgebung umgehend implementieren, um Hausangestellte vor schweren Menschenrechtsverletzungen zu schützen, die in manchen Fällen sogar als Sklavenhaltung bezeichnet werden können, so Human Rights Watch in einem heute veröffentlichten Bericht. Arbeitgeber werden meist nicht bestraft, wenn sie ihre Angestellten misshandeln, ihnen monate- oder jahrelang keine Löhne zahlen, sie einsperren, ihnen gegenüber gewalttätig werden oder sie sexuell missbrauchen. Einige Hausangestellte werden verhaftet oder zu Peitschenstrafen verurteilt, nachdem sie zu Unrecht von ihren Arbeitgebern des Diebstahls, des Ehebruchs oder der „Hexerei“ bezichtigt wurden.

Der 133-seitige Bericht „‘As If I Am Not Human’: Abuses against Asian Domestic Workers in Saudi Arabia“ ist das Ergebnis einer über zweijährigen Untersuchung. Er beruht auf 142 Interviews mit Hausangestellten, hohen Regierungsbeamten und Personalvermittlern in Saudi-Arabien und den Herkunftsländern der Angestellten.

„Im besten Fall arbeiten die Arbeitsmigrantinnen in Saudi-Arabien unter guten Bedingungen und bei fairen Arbeitgebern - im schlimmsten Fall werden sie regelrecht wie Sklaven gehalten. Die meisten Fälle liegen irgendwo zwischen diesen beiden Extremen“, erklärt Nisha Varia, Mitarbeiterin der Abteilung für Frauenrechte von Human Rights Watch. „Die saudische Regierung muss den gesetzlichen Arbeitsschutz auch auf Hausangestellte ausdehnen und das Bürgschaftssystem bei der Visa-Vergabe ändern, damit Frauen nicht ihr Leben aufs Spiel setzen, wenn sie für ihre Familie Geld verdienen müssen.“

Saudische Haushalte beschäftigen schätzungsweise 1,5 Mio. Hausangestellte, von denen die meisten aus Indonesien, Sri Lanka, von den Philippinen und aus Nepal stammen. Einige kommen auch aus anderen Ländern in Afrika und Asien. Es liegen zwar keine statistischen Erkenntnisse über die genaue Anzahl der Missbrauchsfälle vor, doch das saudische Sozialministerium und die Botschaften der Herkunftsländer der Angestellten beherbergen jährlich Tausende Hausangestellte, die gegen ihre Arbeitgeber oder Personalvermittler klagen wollen.

Unverhältnismäßig hohe Arbeitsbelastung und unbezahlte Löhne über Zeiträume von einigen Monaten bis zu zehn Jahren sind gewöhnlich die Gründe für eine Anzeige. Für Hausangestellte finden Arbeitsschutzregelungen, die für andere Arbeitnehmer in Saudi-Arabien gelten, wie beispielsweise ein freier Tag pro Woche und bezahlte Überstunden, keine Anwendung. Viele Hausangestellte arbeiten 18 Stunden pro Tag, sieben Tage die Woche.

Durch das restriktive kafala- oder Bürgschafts-System werden die Arbeitnehmer über ihr Visum von den Arbeitgebern abhängig. So können diese den Angestellten einen Wechsel des Arbeitsplatzes oder die Ausreise untersagen. Human Rights Watch hat Dutzende Frauen interviewt, deren Arbeitgeber sie gegen ihren Willen über Monate oder Jahre hinweg zur Arbeit gezwungen haben. Die Arbeitgeber nehmen den Angestellten oftmals ihre Papiere weg und sperren sie im Haus ein, wodurch sie von der Außenwelt isoliert und verstärkt dem Risiko von körperlichem, seelischem oder sexuellem Missbrauch ausgesetzt sind. In Interviews mit 86 Hausangestellten hat Human Rights Watch erfahren, dass 36 von ihnen Opfer von Zwangsarbeit, Menschenhandel oder Sklavenarbeit geworden sind.

„Die saudische Regierung hat einige gute Reformen vorgeschlagen, sie jedoch jahrelang vor sich hergeschoben, ohne sie tatsächlich umzusetzen“, so Varia. „Es ist höchste Zeit, die Hausangestellten unter das Arbeitsschutzgesetz aus dem Jahr 2005 zu stellen und das kafala-System zu reformieren, damit die Arbeitnehmer nicht mehr über ihr Visum vom Arbeitgeber abhängig sind.“

Das saudische Sozialministerium betreibt in Zusammenarbeit mit der Polizei eine Zufluchtsstelle in Riad, wo Hausangestellte Unterstützung erhalten, wenn sie ihre Löhne einfordern oder in ihre Heimatländer zurückkehren wollen. Oftmals gelingt es den Vermittlern jedoch nicht, eine faire Einigung zwischen Arbeitgebern und Angestellten herbeizuführen, und die Arbeitsmigrantinnen gehen nicht selten leer aus, weil sie auf die Lohnzahlung zugunsten der Ausreisegenehmigung durch den Arbeitgeber verzichten.

Da die Ermittlungen oftmals schlecht durchgeführt werden und sich Strafverfahren über Jahre hinziehen, werden Arbeitgeber äußerst selten zur Verantwortung gezogen. Nach einem dreijährigen Verfahren hat etwa ein Gericht in Riad die Klage gegen den Arbeitgeber von Nour Miyati fallen gelassen - trotz einem Geständnis, einer klaren medizinischen Beweislage und gründlicher öffentlicher Untersuchung. Nour Miyati, eine indonesische Hausangestellte, musste sich Finger und Zehen amputieren lassen, nachdem sie von ihren Arbeitgebern keine Nahrung erhalten hatte und täglich geschlagen worden war.

Human Rights Watch berichtet, dass die Wahrscheinlichkeit einer Gegenklage gegen den misshandelten Angestellten wegen „Hexerei“, Diebstahl oder Ehebruch höher ist, als die einer rechtmäßigen Verurteilung des Arbeitgebers. In solchen Fällen erhalten die Angestellten dann nur mit großer Verzögerung einen Dolmetscher, Rechtsbeistand oder konsularische Unterstützung oder sie bekommen überhaupt keine Hilfe.

Die Bestrafungen sind schwerwiegend. Untersuchungen von Human Rights Watch ergaben, dass „Hexerei“ und „moralische“ Vergehen wie Ehebruch oder der Kontakt zu nicht verwandten Männern teilweise mit bis zu zehn Jahren Haft und 60 bis 490 Peitschenhieben bestraft wurden. Hausangestellte, die durch eine Vergewaltigung schwanger werden, müssen ebenfalls mit Strafverfolgung rechnen, wenn für die Vergewaltigung nicht eindeutige Beweise vorliegen.

„Viele Frauen, mit denen ich gesprochen habe, haben keine rechtlichen Schritte unternommen, weil sie Angst vor Gegenklagen hatten“, so Varia. „Andere wiederum haben die Klage gegen ihre Arbeitgeber fallen gelassen, selbst wenn sie eine günstige Beweislage hatten, weil sie andernfalls jahrelang in einer überfüllten Herberge ohne Arbeit und weit weg von ihren Familien festsäßen und die Aussicht auf den Erfolg der Klage ohnehin äußerst gering ist.“

Wegen unzulänglicher Berufungsmöglichkeiten vor Ort, spielen die auswärtigen Vertretungen von Indonesien, Sri Lanka, den Philippinen und Nepal oft eine wichtige Rolle bei der Beherbergung, dem Rechtsbeistand und der Unterstützung für diejenigen, die Lohnforderungen oder Klagen einreichen. Die Anzahl der an die Botschaften gestellten Anfragen übersteigt bei weitem deren Kapazitäten, und viele Hausangestellte klagen über lange Wartezeiten sowie nicht ausreichende Informationen zum Stand ihrer Verfahren. Im Fall von Indonesien und Sri Lanka wird die Unterbringung in überfüllten und unhygienischen Räumen beanstandet.

Human Rights Watch fordert Saudi-Arabien auf, die Missbrauchsfälle zu verfolgen und zu bestrafen und die Hausangestellten vor ungerechtfertigten Gegenklagen zu schützen. Human Rights Watch forderte außerdem eine effektivere Zusammenarbeit mit den Herkunftsländern der Angestellten, um ihre Situation besser überwachen, ihre Befreiung erleichtern und vorenthaltene Lohnzahlungen einklagen zu können. Zudem sollen Missbrauchsopfer umfassende Unterstützung erhalten und schnell in die Heimat zurückgebracht werden. Sowohl die saudische Regierung als auch die Regierungen der Herkunftsländer müssen strikte Überwachungsmechanismen für Arbeitsagenturen und Personalvermittlungsverfahren einführen.

In Saudi-Arabien arbeiten über 8 Mio. Migranten, was etwa einem Drittel der Gesamtbevölkerung entspricht. Sie sind wichtige Arbeitskräfte im Bau-, Gesundheits-, und Dienstleistungssektor und unterstützen außerdem die Wirtschaft ihrer Heimatländer. Im Jahr 2006 transferierten sie 15,6 Milliarden US-Dollar in ihre Heimatländer, ca. 5 Prozent des saudi-arabischen Bruttoinlandsprodukts.

Auszüge aus dem Bericht:

„Meine Arbeitgeberin erlaubte es mir sechs Jahre und acht Monate lang nicht, nach Indonesien zurückzukehren....Ich habe niemals einen Lohn bekommen, keinen einzigen Riyal...Meine Arbeitgeberin schimpfte nie mit mir und schlug mich nicht. Aber sie ließ mich nicht nach Indonesien zurückgehen.“
- Siti Mujiati W., indonesische Hausangestellte, Dschidda, 11. Dezember 2006

„Nach einiger Zeit zeigte mir mein Arbeitgeber seine Zuneigung. Er rief mich in sein Schlafzimmer. Er sagte, „Ich will dir sagen, wie ich dich von der Personalvermittlung bekommen habe.“ Er sagte, „Ich habe dich für 10 000 Riyal gekauft.“...Der Arbeitgeber hat mich viele Male vergewaltigt...Ich erzählte alles der Frau....Die ganze Familie, die Frau, der Arbeitgeber, sie wollten mich nicht gehen lassen. Sie verschlossen die Türen und Ausgänge. [Nach meiner Flucht und neunmonatigem Warten in der Botschaft auf den Ausgang der Verhandlung,] will ich nicht nach Hause gehen mit diesem leeren Gefühl, wie all die anderen....Einmal haben sie mir gesagt, dass die Klage erfolglos war [und dass ich nach Hause deportiert werde].“
- Haima G., philippinische Hausangestellte, Riad, 7. Dezember 2006

„Für ein Jahr und fünf Monate, [bekam ich] überhaupt kein Gehalt. Ich forderte Geld und dann schlugen sie mich oder verletzten mich mit einem Messer oder verbrannten mich. Auf meinem Rücken habe ich Narben. Mein ganzer Körper schmerzte. Sie haben meinen Kopf gegen die Wand gehauen. Jedes Mal, wenn ich meinen Lohn forderte, gab es Gewalt.“
- Ponnamma S., srilankische Hausangestellte, Riad, 14. Dezember 2006

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